Wenn man sich mit russischen Zensuren im 1. Weltkrieg beschäftigt kommt man schnell zu dem Punkt den Überblick zu verlieren, da wir hier von zig Tausend Abstempelungen sprechen können.
Wovon jedoch nur ein Teil bisher bekannt geworden und schriftlich erfasst wurde. Also auch heute findet man noch gänzlich unbekannte und natürlich Erweiterungen zu bekannten Stempeln.
Die schiere Masse lässt vermuten, dass auch Lagerzensuren in reichlicher Vielfalt vorhanden wäre, dies ist mitnichten so.

Im Standardwerk von Antoine Speeckaert - Russische Postzensur 1914-1918 nebst Anhängen sind 19 Stempel gelistet.
In meinem Aufsatz "Zensuren aus russischen Kriegsgefangenenlagern im 1. Weltkrieg" veröffentlicht in der DZRP/Arge Russland, konnte ich zwei bisher unbekannte hinzufügen, also 21 Stempel gesamt. Wobei mindestens ein Stempel keine Zensur beinhaltet sondern lediglich das Auskunftsbüro für KGF des Lagers dokumentiert (dies wurde von den KGF selbst geführt, also fälschlich von Speeckaert aufgeführt).

Die Kriegsgefangenenpost im allgemeinen wurde zunächst über die Zensurstelle Petrograd geleitet, jedoch stellte sich schnell die Überforderung dieser Zensurstelle ob der Masse der Poststücke heraus. So wurden die Hauptzensurstellen der Militärbezirke in denen KGF-Lager vorhanden waren stärker bzw. (fast) ausschließlich mit dieser Aufgabe betraut.
Wie in Russland üblich, fand nicht nur der angeordnete "Hauptweg" zur Bearbeitung Beachtung sondern wurden auch "Biegungen" eingebaut, soll heißen, es findet sich auch einiges welches nicht erlaubt war - die Masse bestätigt aber die Regel.

Nur in den großen sibirischen Lagern fanden auch Zensurierungen statt. Ausnahme ist Darniza im Gouvernement Tschernigow/Militärbezirk Kiew. Dies erklärt sich durch den Zweck als Evakuations- und Filtrierlager bzw. als Frontsammellager der russischen Südwest-Front (gefangene Mittelmächte-Soldaten vom Schwarzen Meer bis an die Grenze zum umkämpften Russisch-Polen wurden über Darniza in das Innere Russlands geleitet/abtransportiert).

Noch ein Wort zur Anzahl der Kriegsgefangenenlager in Russland - hier finden sich die wildesten Spekulationen...die in manchen Publikationen genannten über 3.000 Lager sind bei genaueren Betrachtungen Durchzugsstationen, Arbeitsstellen und Lager.
Freilich ist die Einordnung in einen dieser Bezeichnung entsprechenden Örtlichkeit nicht einfach, jedoch sind nach meiner Beobachtung die große Masse Arbeitsstellen die zumeist über eine bewachte Unterbringung verfügte.
Als Beispiel ein Eisenwerk im Süden Russlands, dass zur Produktion hunderte oder gar tausende KGF von der Militärverwaltung anforderte und auch zur Verfügung gestellt bekam. Die Kriegsgefangenen, nun Arbeiter und nur Mannschaftsdienstgrade (durften nach Haager Landkriegsordnung dazu herangezogen werden) wurden nach der Arbeitsschicht wieder in die Unterkunft verbracht (in der Regel auf dem Werksgelände) und morgens entsprechend wieder zur Arbeit geführt, natürlich alles unter Bewachung. Trotzdem ist dies eine Arbeitsstelle kein Lager! Also anders geregelt als in deutschen Lagern, in denen es Außenlager gab aber die Zuordnung zum eigentlichen Lager nie aufgegeben wurde.
Man geht nach heutiger Forschung von etwa 400 KGF-Lagern in Russland aus.

Nun zurück zu den Lagerzensuren - anliegend ein Beleg aus dem oben genannten Sammellager Darniza.



Vordruckkarte des YMCA (Christlicher Verein junger Männer) für Kriegsgefangene aus Darniza nach Zagreb/Kroatien.
Zu sehen ist ein hellblauer Dreiecksstempel - dies ist der örtliche Zensurstempel und heißt übersetzt "Geprüft von der Zensur / Darniza Isolier- Verteilpunkt für Gefangene".
Des Weiteren finden sich zwei violette Stempel, ein Zeilenstempel "Darniza Isolier-Verteilpunkt für Gefangene" und einen Nummernstempel "1". Beide sollten als Hinweis- bzw. Kontrollstempel gesehen werden.
Verwendung fand der Zensurstempel von 4.16 - 11.17 und kommt in den Farben schwarz, violett, blau und hellblau vor.
Nach dem Vormarsch der Deutschen Truppen in der Operation Faustschlag (um einen Friedensvertrag mit Russland zu erzwingen) wurde das Lager nach Einnahme im Februar 1918 als Sammellager für dt. KGF genutzt, die nun in die umgekehrte Richtung, ins Reich transportiert wurden.